Eine völlig andere Art, darüber zu sprechen.
Vielleicht scheint es nur so oder ist es tatsächlich: Immer mehr Menschen sind unzufrieden, haben Angst und sind daher empfänglich für die zuweilen derben und martialisch vorgetragenen Botschaften des ermordeten Kirk, Trump, AfD und anderen Protagonisten des selbst ernannten Dark Enlightenment-Spektrums.
Dass das westlich-liberale Lebensmodell seinen Zenit überschritten hat, die repräsentative Demokratie mehr und mehr in die Defensive gerät, ist weitgehend unstrittig. Über Ursachen und Lösungsansätze hingegen herrscht kein Konsens. Der Scheitelpunkt des westlichen Lebensentwurfs – so zeigt es sich rückblickend inzwischen auch für Nicht-Konservative – wurde erreicht, als die politische Mitte unter dem Eindruck neuer sozialer Bewegungen seit den 1960er Jahren sich keineswegs plötzlich, sondern äußerst gemächlich in Richtung ökologisches Verantwortungsbewusstsein und Sensibilität für die Rechte von Minderheiten geöffnet hat. Dazu gehört auch das Bewusstsein dafür, dass in einer technologisch und wirtschaftlich globalisierten Realität der nationale Verantwortungskreis sich nicht durch Staatsgrenzen oder ethnologische Volksdefinitionen begrenzen lassen dürfe.

Die immer größeren Verwerfungen innerhalb der westlichen Welt sind Ausdruck dessen, dass mit der wissenschaftlich-technischen Entwicklung die kulturell-spirituelle Entwicklung einfach nicht Schritt hält. Konservative Staatsgläubige wie auch Marktgläubige haben aus unterschiedlichen Richtungen kommend füreinander kompatible Antworten auf diese Verwerfungen. Sie erklären die technologisch verursachten gesellschaftlichen, ökologischen und psychologischen Probleme entweder für nicht existent und irre Erfindungen geistig Entgleister oder zum Ergebnis postmoderner Ideen, die nur Probleme mit sich brächten, aber nichts heilen würden. Konservative haben zumeist ein skeptisches Menschenbild. Sie gehen davon aus, dass Menschen nicht an sich gut sind, sondern erst durch Staat, Institutionen und Organisation (vgl. Thomas Hobbes, Leviathan) gezähmt und praktisch zum Guten bewegt werden müssen. In diesem Punkt dürften sich Konservative und Paleolibertäre uneins sein, die ansonsten derzeit in den USA ganz gut an einem Strang zu ziehen scheinen. Letztere lehnen jegliche staatliche Gestaltungsversuche strikt ab. Bedürfnisse und Interessen dürften ausschließlich auf Märkten ausgehandelt werden.
Es gab eine Zeit, da konnte ich einer solchen Ideologie viel abgewinnen. Meine Lebenserfahrung hat meinen Glauben daran des Illusionismus‘ gestraft, dass der dringend erforderliche Anpassungsprozess zwischen technologischen Möglichkeiten und der gesellschaftlichen wie individuellen Fähigkeit, mit ihnen vorausschauend verantwortungsbewusst umzugehen, einem Markt ohne dezente gestaltungspolitische Interventionen allein überlassen werden könne. Bislang hat sich gezeigt, dass Konsumenten eben nicht die ökologisch nachhaltigeren Produkte und jene mit einer Lieferkette mit den geringsten Kollateralschäden wählen, es sei denn sie seien gleichzeitig die preisgünstigsten. Klassische Ordnungspolitik ist nicht meine Antwort. Vielmehr müsse es darum gehen, Bedingungen entstehen zu lassen, damit sich Menschen freiwillig, aus eigener Motivation, aus eigenem Antrieb heraus weiterentwickeln, im Sinne von Spiral Dynamics. Inspirierende Beispiele von Einzelpersonen, Unternehmen und NGOs – aber auch von öffentlichen Akteuren, Influencern, Vorbildern oder Pionieren – zeigen, dass nicht nur Vordenker, sondern auch engagierte Vormacher und Inspiratoren eine wichtige Rolle spielen. Das sind optimistische Menschen, die an das Gute glauben und was sie inhaltlich vertreten, vermitteln sie auch in der zum Inhalt passenden Form. Das Wort Elite passt hier nicht, weil der Begriff noch immer von einem hierarchischen Gesellschaftsbild ausgeht, welches immer wieder in die Irre führt. Auch das Wort Avantgarde ist verbrannt durch seine Verwendung im Leninismus mit der Idee der Partei neuen Typus. Es geht zuallererst um spirituelle Entwicklung. Damit meine ich das Zusammenspiel subjektiv-psychologischer und gesellschaftsbezogen-verantwortungserweiternder Transformation, eine aktive Auseinandersetzung mit Problemen, denen sich ein Mensch annimmt. Religionen können dabei eine Rolle spielen, wobei mir eine Kontemplation über das Menschenbild in diesem Zusammenhang praktisch relevanter erscheint als eine solche über Gott. Ich denke da gern an die Geschichte mit den zwei Wölfen, die in der Brust jedes Menschen wohnen.

Ich verfahre schon lange sehr gut mit der 10-10-80 Faustregel: 10 Prozent der Menschen verteidigen ihre edlen humanistischen Werte und ihren hohen Selbstanspruch an Fairness gegenüber der Mitwelt auch unter den widrigsten Bedingungen. Weitere 10 Prozent sind im Sozialverhalten unheilbar verkorkst: Psychopathen, Soziopathen, Narzissten ohne jede Empathie und Menschen, die aus anderen Gründen ein überdurchschnittliches Maß an krimineller Energie aufweisen. Die übrigen 80 Prozent passen sich je nach Umfeld an. Dominieren die 10 Prozent gutwilligen Menschen, und wird das auch durch die hobbe’schen bzw. konfuzianistischen Institutionen getragen, sind sie nicht nur im Bregmann’schen Sinne „im Grunde“ gut, sondern auch im täglichen Denken und Tun. Finden sie sich im Umfeld wieder, dass ganz wesentlich durch Psychopathen und hochmanipulativen Narzissten geprägt ist, passen sie sich deren Verhalten an und kommen damit je nach eigenen Fähigkeiten gut oder weniger gut zurecht. Dann herrschen sozialdarwinistische Zustände, die Zivilisation würde sozusagen in den Abwärtsstrudel hinabgerissen, aus der sie nur durch enorme Kraftanstrengung der 10 Prozent – ich nenne sie jetzt einmal völlig politisch inkorrekt gegenüber den übrigen 90 Prozent – edlen Menschen herausfindet. Entwicklungsinspirationen sollten für möglichst viele Menschen anschlussfähig sein, insbesondere für diejenigen, die keinen ausgeprägten inneren Kompass besitzen. Der übliche Stil progressiver Argumentationen und Sinnangebote spricht jedoch nur einen kleinen Teil der Bevölkerung an. Progressive Ziele und Tendenzen, auch wenn sie für mich inhaltlich nachvollziehbar und relevant sind, werden häufig mit einem linksaktivistischen Impetus präsentiert. Dies kann ästhetisch abstoßend wirken und dazu führen, dass viele Menschen sich mit den Inhalten nicht auseinandersetzen, sondern sich aufgrund der Präsentationsweise frühzeitig ab- und in letzter Zeit immer stärker dagegen wenden.
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