Greta Thunberg wurde zur „Person des Jahres“ gekürt. Natürlich nur von denen, die das was sie tut großartig finden. Alle anderen hassen sie oder machen sich über sie lustig. Polarisierung ist in unseren Zeiten nichts überraschendes mehr. Doch im Fall Greta zeigt sie sich auf besonders eklatante Weise, sodass ich mir einen kleinen Artikel wie diesen nicht mehr länger verkneifen kann.
Es war einmal ein Diagnostiker
Selten bin ich mir so sicher bei meiner Einschätzung zu Gründen, die den einen zum Bewunderer, den anderen zum Hater dieses Mädchens aus Schweden werden lässt: Es ist eine Frage des Charakters. Man könnte es natürlich auch Wertebasis, Menschenbild oder Konditionierung nennen. Aber ich nenne es ganz absichtlich und hausbacken beim Namen: Charakter.
Was tut Greta seit dem Sommer 2018? Sie tut im Grunde etwas absolut folgerichtiges: Sie erinnert Politiker daran, wofür sie sich auf dem Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet haben. Man sollte meinen, das sei kein Grund zur Aufregung. Weil sie es jedoch auf eine Weise tut, die Aufsehen erregt, alles andere hätte auch gar keine Wirkung, wäre zu keinem Ohr, keinem Auge eines führenden Politikers vorgedrungen, weil sie es mit äußerster Konsequenz tut, emotionalisiert es. Greta hat nie öffentlich gesagt, dass sie jemanden verachtet, der einen SUV fährt, Fleisch isst, Flugreisen oder Kreuzfahrten unternimmt. Sie hat nie jemanden etwas verboten. Sie tritt energisch auf, ja und sie sagt „Ich will das Ihr in Panik geratet“, ok. Das ist harter Tobak. Sie fordert Mitgefühl mit sich – stellvertretend für ihre ganze Generation. Gefühle? Asperger? Richtig! Dazu muss man wissen, dass Menschen mit Asperger-Syndrom nicht etwa unfähig sind, Gefühle zu empfinden oder auszudrücken. Im Gegenteil: Gerade weil sie überdurchschnittlich empfindsam sind und im zwischenmenschlichen Kontakt Gefühle sehr stark wahrnehmen, lernen sie sehr frühzeitig, sich dagegen abzuschirmen, um von ihren Gefühlen nicht überwältigt und dadurch handlungsunfähig zu werden. Dieser Schutz greift jedoch nicht, wenn es um große Zusammenhänge in der Welt geht. Daher nehmen Menschen mit Asperger-Syndrom Weltprobleme wie den Klimawandel besonders ernst und reagieren besonders stark darauf, wenn Entscheidungsträger offenkundig nicht tun, was dringend geboten ist. Während die einen Greta für ihre Konsequenz und emotionale Eindeutigkeit bewundern, weil sie ihr in der Sache recht geben, reagieren die anderen nahezu ausschließlich auf die emotionale Kampfansage, die bei ihnen Trotzreaktionen auslöst. Sie fühlen sich persönlich beleidigt: „Ich lass mir doch nicht meinen SUV verbieten, mein Silvesterfeuerwerk, mein Lidl-Steak vom Webergrill!“
Der Coach mit seiner unsäglichen Empathie
Ich habe für die Gefühle beider Seiten Verständnis. Auch ich kann mich für Autos begeistern, vor allem Oldtimer, die viel Sprit fressen und keinen Katalysator haben. Ich begeistere mich für den Bau von Autobahnen und neue Straßen. Ich finde die Rüstungsindustrie irgendwie sexy – ganz im Gegensatz zu einer gewissen Firma aus Österreich, die Gummibärchenbrause mit einer Überdosis Koffein in kleine Dosen abfüllt. Auch kenne ich den Fleischappetit, dem ich früher nicht widerstehen wollte. Was habe ich als Kind und Jugendlicher Feuerwerk geliebt, sogar selbst gebastelt. Sein Geruch verschafft mir noch heute schönste Erinnerungen an wilde Silvesterparties.
Was hat das mit Charakter zu tun? Ganz einfach: Findet es jemand wichtiger, kindlichen Egobedürfnissen nachzukommen oder fragt jemand danach, welche Wirkung seine Hobbys, Konsumentscheidungen, Autoaufkleber und Facebook-Kommentare auf andere Menschen haben? Denkt jemand darüber nach, was anderen Menschen gut tut, Leid mindert, auch künftiges?
Nicht alle Greta-Hater leugnen, dass das Ausbuddeln von über Jahrmillionen zu Energieträgern verdichteter organischer Materie zum Zwecke der Verfeuerung innerhalb von Minuten, steigender
Energieverbrauch und zunehmender Plastikmüll eventuell ein Problem für uns Menschen sein oder werden könnte. Nicht alle glauben daran, dass ökologisch verantwortliche Bewegungen entweder große
Kasse machen und Greta als PR-Figur missbrauchen oder dass sie aus Selbsthass oder anderen Motiven wollen, dass wir wieder wie in der Steinzeit leben.
Identität? Krieg ich Krise sowas!
Wir sollten nicht unterschätzen, dass das fragilste Bedürfnis in unseren Breiten das nach Identifikation ist. Und nicht wenige Menschen klammern sich an Gewohnheiten wie das tägliche Steak, Pyrotechnik auf Fußballspielen und dass das nächste Auto immer dicker sein muss. Werden diese Gewohnheiten in Frage gestellt, droht Identitätsverlust.
Die Spaltung der Gesellschaft hat ihren Grund nicht etwa darin, dass die Politik der Mitte gescheitert wäre, sondern daran dass immer mehr Menschen aufgrund ihres Medienkonsums dauernervös geworden sind und ihre Ängste in Ermangelung an selbstbestimmte Sinnfindung mit Feindbildkonstruktionen betäuben.
Wir kommen nicht umhin, zu akzeptieren, dass die Menschen in unserer Gesellschaft unterschiedlicher Auffassung darüber sind, was unsere drängendsten Probleme sind: Klimawandel, Migration, Atomwaffen in den Händen von Terroristen, flaschensammelnde Rentner, eine unsichere Perspektive für unsere Automobilindustrie, ein wenig zukunftsweisendes Bildungssystem oder die wachsende Macht künstlicher Intelligenz. Wollen wir uns im Streit darüber gegenseitig vorwerfen, wie blöd der andere ist? Wollen wir unseren Standpunkt mit dem Verbreiten hässlicher Texttafeln mit erfundenen Verleumdungen auf Facebook und „Aufklärungs“-Filmen auf YouTube untermauern?
Ich möchte das nicht.
Frohe Weihnachten!
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