Jeder ist Globalist. Leugnen zwecklos.

Wer ist Klaus Schwab?

 

Hätte man vor wenigen Monaten unter Querdenkern oder einige Zeit zuvor auf einer Pegida-Kundgebung eine Umfrage gestartet, ob jemand den Namen Klaus Schwab kenne, hätte man wohl außer Schulterzucken Rückfragen erhalten, ob das nicht der vom Schwab-Versandhauskatalog sei. Das World Economic Forum in Davos war medial zuvor eher aufgefallen durch Proteste linksradikaler Globalisierungskritiker. 

 

2019 kam ein Film (das Forum) in die Kinos und neben dem Gründer Klaus Schwab, einem heute knapp 83 jährigen Unternehmer, wurde auch gezeigt, dass sich auf diesen jährlichen Treffen neben den Staatsoberhäuptern und Konzernlenkern inzwischen auch Greta Thunberg und Greenpeace tummeln. Inzwischen steht das Forum auch von politisch anders gesinnten Globalisierungsskeptikern in der Kritik, denn nun stehen Schwab und Davos nicht mehr für neoliberalen Kapitalismus, sondern für Nachhaltigkeitsbestrebungen. Mit Erscheinen seines neuen Buches (zusammen mit Thierry Malleret): COVID-19: The Great Reset (dt. Der große Umbruch) geht es in tendenziell (Vera Lengsfeld) bis eindeutig rechten Kanälen (PI News), aber auch in den Amazon-Rezensionen heiß her. Ich fasse nur kurz zusammen: Schwab steht dabei in keinem günstigen Licht, er wolle die Freiheit abschaffen, gigantische Finanztransfers in ärmere Länder lenken, einen globalen chinesischen Überwachungsstaat errichten und so ganz nebenbei noch die Wirtschaft des globalen Nordens ruinieren. Je nach politischer Prädisposition kann man aus der Lektüre tatsächlich jene Schlüsse ziehen. Muss man aber nicht. 

 

Was ist so schlimm an Globalisierung?

 

Es ist verständlich, wenn Menschen gerade aufgrund einer unübersichtlichen weltpolitischen Lage in ihrer Nationalität ein starkes identitätsstiftendes Merkmal sehen und sie diese Identität – und somit sich selbst als Individuum – durch Globalisierung, internationale Politik und Migration als bedroht empfinden. 

 

„Sich in der Welt nicht mehr auszukennen, ist nicht das Problem, sondern bei der selbst geschaffenen Komplexität und Beschleunigung nur folgerichtig.“

Armin Nassehi

 

Durch die Brille der identitären Bewegung betrachtet ist die Welt derzeit geprägt von einem Konflikt zwischen Globalisten und Volk, ausgefochten als Klassenkampf zwischen internationalem Kapital, politisch-medialen Eliten und mobiler Mittelschicht auf der einen sowie nationalem Kapital, lokaler Mittelschicht, Arbeitern und Angestellten auf der anderen Seite. Der als Globalisten markierten Klasse unterstellen die Identitären eine gezielte Ersetzungsmigration: Das autochthone Volk solle durch Migranten ausgetauscht werden. In einer von Globalisierung und Verunsicherung geprägten Lebensrealität darf sich das Feindbild Globalisten fruchtbaren Boden gewiss sein und ist zudem anknüpfungsfähig zu tradierten Verschwörungsmythen, die von jeher stets diejenigen zur Zielscheibe auserkiesen, die eine Überwindung ungerechter Verhältnisse befürworten: Humanisten, Pluralisten, Kosmopoliten – all jene, die Menschen als vernunftbegabte Gemeinschaftswesen und Individuen gleichermaßen betrachten. Bei der Unterstellung der Motive von Globalisten ist die skrupellose Gewinnmaximierung wohl noch die harmloseste Variante, die auch für linke Narrative anschlussfähig ist. 

 

„Je weiter die Globalisierung vorankam, desto deutlicher wurde, dass damit nur die generalisierte Lebensweise einer internationalen Wirtschafts- und Wissenschafts- und Künstlerelite beschrieben wurde: Personen mit hohem Einkommen und ausgeprägtem Selbstbewusstsein, die auf die Zugehörigkeitsempfindungen der Nation und die sozialen Sicherungen des Nationalstaates verzichten konnten.“

Herfried Münkler

 

Die Welt in der wir heute Leben ist das Ergebnis von Globalisierung, Digitalisierung und Bevölkerungswachstum. Die Globalisierung nahm ihren Anfang in der Ausprägung imperialer Kolonialreiche, Markenartikler, Franchise-Geber und Banken. Heute findet die Globalisierung in Massenkonsum und -tourismus ihre perfekte Vollendung. Jeder Nutzer sozialer Netzwerke und Apps, Geldanleger und privater Altersvorsorger trägt seinen Teil zur globalen Verbreitung von Geld- und Datenströmen bei. Kaum jemand bleibt außen vor. Die Digitalisierung macht Globalisierung für jeden spielend leicht zugänglich. Die Zahl der Daten nimmt expotenziell zu. Der Zustand unserer Welt wird immer häufiger mit dem Akronym VUCA beschrieben: Jeder der Buchstaben steht für eine die heutige Welt charakterisierende Eigenschaft. V steht für Volatilität, also das Wechseln und Oszillieren von einem Zustand zum Anderen. U steht für Unsicherheit, Ungewissheit, aber eben auch Unvorhersagbarkeit. Aus der Vergangenheit lassen sich immer unzuverlässiger Aussagen über die Zukunft ableiten. C steht für Komplexität – im amerikanischen Original mit C geschrieben – und bedeutet, dass Ursache-Wirkungs-Ketten immer seltener eindeutig hergeleitet werden können, was wiederum damit zusammenhängt, dass Menschen, soziale Zusammenhänge und Sachverhalte inzwischen sehr vielfältig miteinander vernetzt und verschachtelt sind. A steht für Ambiguität, Mehrdeutigkeit. Die VUCA-Welt ist nach meiner Überzeugung jedoch keinesfalls eine Erfindung einer globalistischen Clique, um die autochthonen Völker dieser Welt zu verwirren, damit sie mental geschwächt noch besser auszubeuten wären.

 

Mehr als nur ein Missverständnis?

 

Der Soziologe und Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz spricht von der Gleichzeitigkeit zweier konträrer Umgangsweisen: erstens einer Hyperkultur der Selbstentfaltung von Individuen ohne Innen-Außen-Dualismus und zweitens einem Kulturessenzialismus zur Schaffung kollektiver Identität. Letztere werden durch die Ideologie der identitäre Bewegung, einem Großteil neurechter Strömungen, vor allem aber von Islamisten und Traditionalisten gelebt, deren Feindbildkreation sich an Menschen mit hyperkulturellem Lebensentwürfen abarbeitet, die sie für eine Bedrohung ihrer eigenen Identität halten. Bei näherer Anschauung entsprechen die allermeisten Menschen mit hyperkulturellen Lebensentwürfen überhaupt nicht den Klischeevorstellungen vom wurzel- und skrupellosen finanzkapitalistischen Globalisten. Dass sich Hyperkulturalisten weit weniger gegen die VUCA-Welt aufbäumen als Kulturessenzialisten, wirkt auf letztere jedoch wie eine Bestätigung ihrer Verschwörungsideologie. Wie beide in einer Gesellschaft friedlich und tolerant miteinander leben können, ist tatsächlich eine noch offene Frage, denn auch wenn beide Seiten die jeweils andere Meinung akzeptieren, beißt sich die Praxis im Alltag beider aneinander: Hyperkulturalisten handeln inklusiv, wollen alle Menschen einbeziehen. Essenzialisten handeln exklusiv, sie wollen unter sich bleiben. Die Vokabel „Globalisten“ suggeriert eine Identität, die in der Wirklichkeit nicht gegeben ist. Wer ist Globalist und wer nicht? Die Teilnehmer am Davoser Weltwirtschaftsforum, also neben Jaire Bolsonaro und dem Black-Rock-CEO Larry Fink auch Greta Thunberg? Oder ist auch die kosmopolitisch denkende polnische Studentin, die bei der letzten EU-Wahl die paneuropäische Partei Volt gewählt hat, eine Globalstin und auch der Kellner, der in eine Freimaurerloge eingetreten ist? 

 

„Das Kernproblem ist nicht die Globalisierung der Wirtschaft – wie es viele bis heute sehen –, sondern die Nicht-Globalisierung der Politik.“

Peter Spiegel

 

Die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, sind transnationaler Natur: Covid-Pandemie, Terrorismus, gewalttätiger Extremismus, Auswirkungen des Klimawandels oder global agierende Datenkraken – all das ist grenzübergreifend und kann letztlich auch nur in grenzübergreifender Zusammenarbeit gelöst werden. Die Lebensumstände der VUCA-Welt werden nicht allein von den Hyperkulturalisten erzeugt, sondern ebenso sehr durch das Handeln der Kulturessenzialisten.

 

Politische Deutung der Nachhaltigkeitsziele

 

Die Social Sustainability Goals (SDGs) der Vereinten Nationen (Agenda 2030) werden u.a. vom Ludwig von Mises Institut (Thorsten Polleit) abgelehnt, weil sie angeblich zu einem freiheitsfeindlichen totalitären Sozialismus führen. Sozialismus als Ziel lehne auch ich ab, wie jeden anderen -Ismus übrigens auch. Das Gegenteil von Freiheit als Ziel lehne ich ebenso ab, wie wahrscheinlich jeder Mensch, zumindest wenn es um die eigene Freiheit geht. Mit Totalitarismus kann sich heute weder eine links- noch rechtsradikale politische Strömung brüsten, wobei man da genau hinsehen muss, wo sich Totalitarismus durch die Hintertür einschleicht, wie zum Beispiel bei Impfgegnern, Heilesoterikern, Vielfaltsverteuflern.

 

Nun, die SDGs sind erst einmal Ziele, die noch nichts über Wege und Maßnahmen zu deren Erreichung aussagen – jedenfalls mehrheitlich, aber darauf komme ich noch zu sprechen.

 

Hier sind die 17 Social Sustainability Goals im Überblick:

  1. Armut in all ihren Formen und überall beenden. 
  2. Ernährung sichern – den Hunger beenden
  3. Gesundes Leben für alle
  4. Bildung für alle
  5. Gleichstellung der Geschlechter erreichen
  6. Wasser und Sanitärversorgung für alle
  7. Nachhaltige und moderne Energie für alle
  8. Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle
  9. Widerstandsfähige Infrastruktur und nachhaltige Industrialisierung
  10. Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern
  11. Nachhaltige Städte und Siedlungen
  12. Nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen
  13. Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen dürften.
  14. Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Ozeane, Meere und Meeresressourcen
  15. Landökosysteme schützen
  16. Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
  17. Umsetzungsmittel und globale Partnerschaft stärken

Als Menschenfreund mag man doch erst einmal keinen Einspruch erheben, oder? Gut, streng genommen hat Punkt 13 nichts mit einem Ziel zu tun und es ist auch der einzige Punkt, an dem jene Anstoß nehmen dürften, die keinen Klimawandel oder zumindest irgendeinen nachteiligen Zusammenhang zwischen dem Lebenswandel der Tiergattung Mensch und dem Zustand unserer Natur inklusive dramatisch abnehmender Artenvielfalt sehen.

 

Ebenfalls Anstoß nehmen dürften libertäre und sozialdarwinistisch fühlende Menschen zumindest zu einem Drittel an Ziel 16: „starke Institutionen“ – weil es sich wohl kaum um privatrechtliche, sondern eher staatliche bzw. überstaatliche handeln dürfte.

 

Schlussendlich könnte auch Punkt 17 strittig sein, denn woher kämen Umsetzungsmittel, wenn nicht aus Steuereinnahmen und eine globale Partnerschaft widerspräche neonationalistischen bzw. antiglobalistischen Bestrebungen.

 

Die identitäte Bewegung lehnt übrigens auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als „Machwerk universalistischer Globalisten“ ab. Ob das auch Thorsten Polleit, Markus Krall oder Vera Lengsfeld tun, darüber ist mir nichts bekannt. Mich würde es jedenfalls immer noch schockieren.

 

Eine kritische Sachdiskussion ist absolut notwendig. Problematisch finde ich es immer dann, wenn mit Feindbildern und bösartigen Unterstellungen operiert wird.

 

Dieser Tage ist übrigens ein weiterer Film (Davos) erschienen, der u.a. das World Economic Forum zum Thema hat.

Dieser Artikel enthält Auszüge aus dem neuesten Buch des Autors.

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