Einer der Hauptcharaktere in Otfried Preußlers Kinderbuch Das kleine Gespenst ist der Uhu Schuhu. Er ist der beste und langjährigste Freund des kleinen Gespenstes und trotzdem besteht er darauf, dass sie sich siezen. Er ist es auch, der das Gespenst vor allzu wilden Flausen warnt, wie sein Ansinnen, als Nachtgespenst endlich einmal am Tag herumgeistern zu können. Als junger Vogel verschätzte er sich einmal bei seinen nächtlichen Ausflügen und schaffte es nicht mehr rechtzeitig, vor Sonnenaufgang in sein Anwesen, einer hohlen Eiche, zurückzukehren. Vom Sonnenlicht geblendet wurde er zu allem Unglück von einer Schar Krähen brutal attackiert. Dieses traumatische Erlebnis hat den Charakter des weisen vorsichtigen Uhu nachhaltig und unwiderruflich geprägt: keine Experimente oder Leichtsinnigkeiten. Man hat qua Geburt eine Bestimmung mitbekommen und dieser bis zum Tod zu folgen.
Gebrannte Kinder
Europäische Konservative sind durch zwei historische Ereignisse kollektiv traumatisiert: zum einen durch die Französische Revolution und die anschließende Schreckensherrschaft der linksextremistischen Jakobiner und zum anderen durch den bolschewistischen Staatsstreich nach der russischen Revolution. Vor diesem Hintergrund lässt sich verstehen, wie es in Deutschland 1918/19 zu dieser überzogenen konservativen Gegenbewegung kommen konnte, obwohl doch die Revolution hier weitgehend friedlich blieb. Es erklärt auch die Ausprägung einer sensiblen Alarmanlage, die auf alles anschlägt, was nach linksprogressiver Transformation riecht, während sich rechtsextreme Umstürzler mit geklauten Waffen der Bundeswehr eindecken und Politiker ermorden können, ohne dass Konservative darin eine Gefahr für die staatliche Ordnung sehen würden. Der Großvater des politischen Konservatismus Edmund Burke gab zu bedenken, dass ein Staat, den es an Mitteln zur Veränderung fehle, auch an Mitteln zu seiner Erhaltung missen lässt. Für Burke bestand die konservative Kernkompetenz in der inhaltsfreien Kunst der Moderation widersprüchlicher Positionen. Mittlerweile hat sich daraus aber auch eine zur Ideologie ausgewachsene Verlustangst manifestiert, eine Sehnsucht nach einer Vergangenheit, der man glaubt, beraubt worden zu sein. Moderne Konservative haben sich mit dem zivilisatorischen Fortschritt ausgesöhnt, ihre Kulturkritik jedoch beibehalten. Wir leben in einer Welt, die sich aufgrund technologischer Möglichkeiten, Digitalisierung, Globalisierung und Bevölkerungswachstum immer schneller verändert. Nationalstaatliche wie überstaatliche Strukturen können nur dann gesellschaftlich konstruktive Wirkung entfalten, wenn sie sich diesen Gegebenheiten anpassen. Dennoch bleibt es beim Projekt der Drosselung des gesellschaftlichen Veränderungstempos. Ungeduldige (gleichbedeutend mit „Linke“?) wenden an dieser Stelle ein: „Mensch, wir haben aber nicht mehr die Zeit dazu! Klimakatastrophe, schreiende Ungerechtigkeiten usw.!“ Liberale wären ebenfalls alarmiert, wenn sich ein Übermaß an staatlicher Intervention zeigt. Eine solche könnte ja durchaus auch konservative Züge annehmen.
Bitte achten Sie auf Ihre Ästhetik!
In einem Punkt bin ich sehr konservativ: Einen respektablen Konservativen stelle ich mir als erwachsenen reifen ernsthaften Mann vor. Pubertäre Blödeleien oder Despektierlichkeiten passen da so gar nicht ins Bild. Im Gegensatz zum sympathischen Uhu-Schuhu bei Otfried Preußler nennen sich aber auch solche Menschen „konservativ“, die mit unflätigen Herrenwitzen in Zigarrenstuben über Gendersternchen, feministische Außenpolitik und Klimaaktivisten frotzeln. Prominenteste Vertreter sind der rumpelstilzenhafte Roland Tichy, der seit spätestens 2015 von jeglicher Ernsthaftigkeit vollkommen befreite Matthias Matussek und ein Ex-Verfassungsschützer, der in Interviews sein Bedauern darüber äußert, dass Gott nicht jene in den ewigen Osten abberuft, von denen er es sich am liebsten gewünscht hätte. Der Blindheit Linker gegenüber möglichen gesellschaftlichen Instabilitätstreibern in Gestalt allzu nassforscher Transformationsambitionen lässt sich ebenso die Blindheit Konservativer (sowie Rechtsliberaler) gegenüber revolutionären Absichten neurechter Bewegungen an die Seite stellen. Die Publizistin Liane Bednarz stellt hier eine der raren Ausnahmen dar, dürfte jedoch den allermeisten sich selbst als Konservative bezeichnenden Damen und Herren inzwischen viel zu links erscheinen. Der 2020 verstorbene Brite Roger Scruton gehört ebenfalls in diese inzwischen sehr schmal gewordene Kategorie.
Kommen Sie endlich zum Thema, junger Mann!
Worin besteht nun das Dilemma der Konservativen? Qua Definition möchten sie Erhaltungswürdiges erhalten: Traditionen, Rituale, kulturelle Gepflogenheiten, Sprache wie sie ist, Wirtschaft wie sie ist, Machtstrukturen wie sie sind, Natur und Umwelt wie sie sind etc pp. Die Welt ist derweil immer dynamischer geworden und verändert sich immer rascher. Um etwas zu erhalten, müsste man immer häufiger intervenieren, kann es eben nicht „einfach laufen lassen“, muss gestaltend eingreifen. So töricht, die Uhr zurückdrehen zu wollen, ist indes niemand.
Nun wissen wir nicht erst seit Armin Mohler, dass eine Grenze zwischen Konservativen und Rechtsrevoluzzern nur in Worten, nicht jedoch in der politischen Praxis existiert. Ein Götz Kubitschek sieht sich selbst als Bewahrer des Grundgesetzes, der pluralistischen Demokratie und des gesellschaftlichen Friedens. Die AfD genauso. Man will notfalls die (linksgrünverirrte) Ordnung stürzen, um die (normale, eigentliche) Ordnung wieder herzustellen. Es kommt eben darauf an, welchen Bildausschnitt wir wählen, wenn wir auf unsere Gesellschaft blicken und worin wir die größten Gefahren für inneren Frieden und Zusammenhalt sehen.
Konservative können sich aus diesem Dilemma nur lösen, wenn sie ihren Bezugsrahmen klar definieren und dabei auch begriffliche Abgrenzungen sowohl zur liberalen Mitte als auch zu rechten Transformationsambitionen vornehmen.
Dieser Artikel enthält Auszüge aus dem kürzlich erschienenen Buch des Autors.
Klaas Kramer (Montag, 27 Juni 2022 22:25)
Danke lieber Br Rolf!
Rolf Lütgens (i.O.Osnab.:LZGR.) (Montag, 27 Juni 2022 14:21)
Lieber Bruder Klaas,
am Sonntag,25.6., habe ich Deinen Vortrag zugehört und lese gerade Deine Schriften, die haben meine
Zustimmung. Mich bewegt das aus dem Gleichgewicht geratene Verhältnis zwischen der Menschheit und
der NATUR. Die Farbgebungen in dem spiralförmigen Entwicklungsmodell während Deines Vortrags
zeigen die "Trends" im "Morphogenetischen Feld" der Menschheitsentwicklungsvorgänge nachvollziehbar auf.
Herzliche brüderliche Grüße
Dir stets treuverbunden
i.:d.:u.:h.:Z.:
Rolf Lütgens